Was es bedeutet füreinander da zu sein und warum das wichtig ist

Der Gläubige ist em Gläubigen ein Mauerwerk

Als ich ein Kind war, bin ich oft auf eine alte Schloßmauer geklettert. Sie stand in einem Park ganz in der Nähe meines Elternhauses und erinnerte an längst vergangene Zeiten.

Wind und Wetter hatten ihr jahrhundertelang zugesetzt und so hatte sich der Putz an vielen Stellen gelöst. Zum Vorschein kamen alte verwitterte Steine, große und kleine, scharfkantige und rundliche, graue und rötliche. Fast so wie auf dem Bild oben.

Siehst du, wie Stein an Stein gefügt ist? Wie ein Stein den anderen hält?

Jeder von ihnen ist anders. Jeder von ihnen ist besonders. Und jeder von ihnen ist wichtig! Denn sie hängen alle voneinander ab.

„Ja, gut“, sagst du vielleicht, „aber was haben diese alten Steine mit mir und meinen muslimischen Schwestern zu tun?“

Voneinander abhängig – füreinander da

Eine Menge, würde ich sagen! Denn sie zeigen uns, was es bedeutet, voneinander abhängig zu sein. Und was noch wichtiger ist: füreinander da!

So sagte der Gesandte Allahs, saws:

Die Gläubigen sind einer des anderen Mauerwerk. Ein Teil davon hält den anderen fest.

Sahih Muslim, Hadith Nr. 4684

Wir sind nicht dafür gemacht, allein zu bleiben. Allein zu leben, zu lachen und zu leiden. Vereinzelt. Einsam und verloren.

Gemacht für etwas Großes, Wunderschönes

Wir sind gemacht für etwas Großes. Wunderschönes. Voller Kraft und Herzlichkeit!

Für die Ummah!

Denn uns eint etwas, was in den Herzen ist! Unser Glaube an Allah und die Liebe zu Ihm. Sie verbinden uns, so dass es ist, als ob wir alle ein gemeinsames Herz hätten. Und einen gemeinsamen Körper. So sagte der Gesandte Allahs, saws:

Die Gläubigen in ihrer Liebe und Zuneigung füreinander sind wie ein Körper. Wenn ein Teil davon krank ist, reagiert der ganze Körper mit Fieber!

Sahih Muslim, Hadith Nr. 4685

Wenn du also krank bist oder traurig oder arm, dann leide ich mit dir! Und wenn ich es bin, die Schmerzen leidet oder Hunger oder Not, dann fieberst du mit mir.

Deine Tränen sind auch meine!

Deine Tränen sollten auch meine sein. Mein Lächeln und Fröhlich sein auch dir gehören. Deine Sorgen sollten mir im Magen liegen. Und meine Wünsche dir am Herzen. Deine Hindernisse sollten auch meine sein und meine Stärken stets auch deine.

So zumindest sollte es sein!

Aber ist es auch so?

Zu oft allein

Gleichen wir nicht oft eher einem Haufen loser Steine? Einem wirren Nebeneinander. Wo jede(r) nur für sich kämpft? Weint? Hofft? Bangt und sehnt?

Besonders wir Frauen sind oft allein mit uns selbst, den Kindern, dem Haushalt, den eigenen Sorgen und Unzulänglichkeiten. Sicher geben viele Ehemänner ihr Bestes, um uns zu entlasten und uns beizustehen. Aber auch sie haben ihre Aufgaben und Verpflichtungen.

Oft fehlt es an einem stabilen sozialen Netzwerk, das es uns erlauben würde, Verantwortung und Sorgen zu teilen. Regelmässig gemeinsam etwas zu unternehmen.

Online sind wir zwar meist gut vernetzt. Immerhin. Aber im analogen Alltag mangelt es doch an konkreten Begegnungen, Gesprächen, Hilfestellungen. Oder nicht?

Familien ohne Dorf

Zudem leben die eigenen Eltern und Geschwister häufig in einer anderen Stadt oder gar in einem anderen Land. Oder aber sie leben ein völlig anderes Leben und können vieles von dem, was uns beschäftigt und uns im Alltag als muslimische Frau und Mutter herausfordert, nur begrenzt nachvollziehen.

Viele von uns haben mehrere Kinder. Jedes von ihnen hat ein Recht auf unsere Zuwendung, unsere Liebe, unsere Zeit. Ein Recht darauf, liebevoll versorgt und im Sinne des Islams erzogen und gebildet zu werden.

Das verlangt uns viel ab. Auch wenn wir es gern tun und aus ganzem Herzen. Manchmal sehnen wir uns doch danach, das vielzitierte Dorf, das es braucht, um ein Kind zu erziehen, wäre gleich nebenan.

Leben und erziehen gegen den Strom

Besonders da wir in einem nicht-muslimischen Umfeld leben und oft das Gefühl haben, wir und unsere Kinder müssten unaufhörlich dagegen ankämpfen, vom Strom der Mehrheit mitgerissen zu werden.

Alhamdullilah.

Das kostet viel Kraft. Und erfordert viel Ausdauer und Geduld.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir füreinander da sind! Dass wir uns gegenseitig Halt geben, einander stärken und unterstützen. Mit Rat und Tat.

Ein Stein allein ist keine Mauer

Denn wenn wir nicht füreinander da sind , dann bröckelt unsere Mauer aus Gläubigen. Der Damm, der uns davor schützt, fortgerissen und überflutet zu werden.

Unsere Beziehungen lockern sich dann. Immer weiter. Bis keiner mehr den anderen hält. Und niemand mehr gehalten wird.

Wir werden dann schwächer. Als Ganzes. Und jeder für sich. Auch unsere Herzen. Und der Glaube darin.

Sich gegenseitig halten

Darum, lass mich dich halten. Und du halte mich. Lass uns gemeinsam eine Mauer sein.

Die fest ist und stark. Eine, die uns trägt. Dich und mich. Und alle anderen, die mit uns glauben. Die mit uns hoffen auf die Vergebung Allahs. Die mit uns wetteifern um gute Taten. Die sich mit uns sehnen nach dem Paradies, wo es keinen Kummer und keinen Schmerz mehr gibt. Nur Freude. Und Licht. Seide und Quellen. Kissen und Wohlgeruch.

Liebe in Taten verwandeln

Lass uns heute noch anfangen, Stein auf Stein zu setzen. Und unsere Liebe zueinander in Taten zu verwandeln.

In ein Lächeln. In eine warme Decke. Oder ein warmes Wort. In Zeit, die wir schenken. In Rat, den wir geben. In Mut, den wir zusprechen. In Geduld, zu der wir ermahnen. In Unterricht, den wir erteilen. In Hilfe, die wir gewähren. In ein Bittgebet, das wir sprechen.

Geben wir das, was unsere Geschwister brauchen. Und das, was wir uns selber wünschen! Denn, es ist überliefert von Anas, Allahs Wohlgefallen auf ihm, dass der Gesandte Allahs, saws, sagte:

Keiner von euch ist gläubig, bis er für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.

Riyad-us-Salihin, Hadith Nr. 236

Darum: Sei ein Stein in deiner Mauer und gib deiner Schwester Power!

Fühlst du dich von deinen Geschwistern im Islam gehalten und unterstützt? Was würdest du dir von ihnen wünschen? Schreib es mir gern in die Kommentare.

Bild von marijana1 auf Pixabay

6 Kommentare bei „Was es bedeutet füreinander da zu sein und warum das wichtig ist“

  1. Namika-die Schreiberin sagt: Antworten

    Assalamualeykum wr wb liebe Schwester,

    dein Beitrag hat mich sehr getroffen. Direkt ins Herz! Du beschreibst sehr schön, wie wir eigentlich als Menschen ticken und was wir brauchen in Bezug auf unser Sozialleben.
    Zudem beleuchtest du sehr treffend, dass wir aber eben oft gar nicht so leben wie es uns allen gut tun würde.
    Am Ende bleibe ich aber nicht hoffnungslos und deprimiert zurück, wegen der ungünstigen Bedingungen unserer Umwelt, sondern fühle mich wieder motiviert weiter am Ball zu bleiben.
    Wie? Du gibst uns dahingehend schöne einfache Beispiele.

    Ich bin gespannt auf mehr von deinen Bereicherungen!

    Möge Allah es segnen und dir deine Stufen im Paradies erhöhen.

    Danke, dass du schreibst!

    Deine Namika-die Schreiberin

    1. Wa alaikum assalam wr wb liebe Namika,
      Amin. Möge Allah auch dich segnen und deine Stufen im Paradies erhöhen.
      Ich danke dir sehr für deine wertschätzende schwesterliche Rückmeldung. Damit habe ich gleich wieder gespürt, wie schön es ist, sich zu begegnen. Durch Worte. Mit Worten. Alhamdullilah.

      Barakallahufeeki.

  2. Assalamalaikum wa rahmatullahi wa barakatuhu meine liebe Schwester im Islam.

    Es freut mich sehr deinen ersten Text in deinem Blog zu lesen. Ich bin sehr überrascht und fühle mich angesprochen. Genau wie du es sagst geht es mir auch oft so. Man fühlt sich allein mit allem und man sieht nur sich selbst, seine Probleme und Aufgaben und man fühlt sich als renne man in einem Hamsterrad aus dem man nicht heraus kommen kann. Subhanallah. Genau das ist es und das müssen wir Geschwister von einander denken und fühlen, dass es nicht egal ist wie die andere sich fühlt und wie es ihr geht. Wir sollten das Leid teilen und versuchen einander zu helfen und füreinander da zu sein, nicht nur eigene Erfolge erzählen von denen die anderen nur träumen können.
    Wir sind eine Ummah und brauchen uns gegenseitig, die eine kann ohne die andere nicht sein. Darum geht es. Ich kenne auch das Sprichwort „It takes a whole village to raise a child“. Genau darum geht es, wir sollten das „Dorf“ für unsere Kinder bilden. Es stimmt wir sind gut vernetzt, jedoch fehlt es oft an realen Treffen. Wir sollten regelmäßige Treffen in unseren Alltag einbinden, zusammen lernen, spielen, lachen und weinen und uns gegenseitig halten wie die Steine in der von dir zitieren Mauer.
    Möge Allah uns einander halten lassen und uns nicht auseinander gehen lassen. Allahumma Amin.
    Ich bin gespannt auf weitere schöne Texte von dir.

    Deine Schwester im Islam.

    Umm Maroua

    1. wa alaikum assalam wa rahmatullahi wa barakatuh liebe Umm Maroua,

      Amin.
      ich danke dir für deinen schönen und differenzierten Kommentar, liebe Schwester.
      Dein Vergleich mit dem Hamsterrad trifft es sehr gut. Viel zu oft hetzen wir durch unseren Alltag, immer vorwärts. Ohne nach rechts und links zu blicken. Ohne die Schönheiten des (Zusammen-)Lebens wahrzunehmen, die am Wegesrand auf unseren wachen Blick warten. Wir erlauben uns kaum eine Pause, kein Durchatmen. In dieser Eile verlieren wir den Kontakt zu uns selbst, zu unserem Schöpfer, aber auch zu unseren Mitmenschen und Geschwistern. Wenn jeder für sich bleibt, wird der Alltag zum Kampf und das Herz zu einer einsamen Insel.
      Umso schöner, wenn wir (wieder) zueinander finden, um festzustellen, wie gut das tut: füreinander da zu sein.
      Ja, gemeinsam weinen und lachen, spielen und lernen – das wünsche ich uns. Und unseren Kindern.

      Deine Umm Abdurrahman

  3. Hallo Mami❤️

    1. Assalamu alaikum wr wb meine liebe Tochter,
      Möge Allah dich segnen und dich beschützen. Auf allen deinen Wegen.
      Deine Mama:)

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