Im vergangenen Sommer war ich am Meer. Oder zumindest ganz nah dran. Bei einer sehr geliebten Freundin. In ihrem reich und vielfältig bestückten Bücherregal fand ich guten Rat. Und frische Hoffnung:
In schlichtem hellblauen Umschlag stand es da. Und sah mich an. Nur ein Seil war darauf zu sehen, ineinander verschlungen zu einem Knoten. Vielleicht ein Seemannsknoten? Die sind ja bekanntlich leicht zu legen und schwer belastbar.
Innige Verbundenheit in sechs Schritten
Der Titel des Buches „Innige Verbundenheit. Sechs Schritte zu einer erfüllteren Ehe“ sprach mich sofort an.
Erstens, weil er etwas in sich trägt, was ich mir sehr wünsche. Nämlich innige Verbundenheit mit meinem Ehemann.
Zweitens, weil er verspricht, dass diese tatsächlich zu erreichen ist. Und das, in nur sechs Schritten!
Und drittens, weil ein Eheratgeber speziell für Frauen, in dem Islam und Psychologie zusammen finden, etwas Neues ist. Eine neue Herangehensweise. An ein sehr altes und sehr schönes Problem.
Liebe ist, den ersten Schritt zu tun. Und den zweiten. Und den…
Ich verzog mich also auf die Couch, während draußen ein Gewitter erst auf und dann vorüber zog (welch treffliche Metapher für die Stürme des Ehelebens;)).
Um es zu lösen. Das Problem. Mit der Liebe.
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis machte mir allerdings klar, dass es so einfach dann doch nicht werden würde. Denn die besagten sechs Schritte bestanden aus viiiiielen kleinen Einzelschritten, die nicht den Eindruck erweckten, als ob sie leicht zu nehmen wären.
Beispiel: Schritt 1 – Arbeite zuerst an dir!
- positive Grundeinstellung
- Nicht 50/50 sondern 100%
- Deine Ehe hat ein höheres Ziel
- Absichten
- Verantwortung übernehmen
- Festgefahrene Gewohnheiten durchbrechen
- und, und, und.
Selbst ist die Frau
Puh, ganz schön viel!
Wer arbeitet schon gern an sich selbst? Immerhin ist das anstrengend, nicht wahr?
Wäre doch viel angenehmer, wenn der Andere….
Wenn der endlich mal anfangen, aufhören, zuhören, mitmachen, lockerlassen würde. Wer der nicht immer so schweigsam, lustlos, unordentlich und aufbrausend wäre…
Ach, wie wäre das herrlich. Aber nein. Da macht uns die Autorin einen Strich durch die Rechnung:
Bevor du dir Gedanken machst, was du brauchst und dein Mann dir nicht gibt, konzentriere dich auf das, was in deiner Hand liegt: deine Taten, deine Möglichkeit, zu geben.
S.35
Um Allahs Willen
Na gut. Ist zwar ungewohnt. Aber ein durchaus berechtigter Gedanke! Und ein zutiefst islamischer. Denn unser Partner ist eine Gabe Allahs. Unsere Ehe mit ihm eine Prüfung. Die wir bestehen wollen. Um unserer selbst willen. Aber vor allem um Allahs Willen. Denn:
In der Essenz geht es in allem, was uns im Leben widerfährt, nur um uns und Allah. Am Ende gibt es nur Ihn, uns und unsere Taten.
S. 29
Fokus plus Bonus
Derartig gebrieft, fällt es dann auch schon viel leichter, sich auf das einzulassen, was die Autorin, Sarah Kerstin Burkhard – selbst Ehefrau, vierfache Mutter, Absolventin der Islamic Online University und psychologische Beraterin – zu bieten hat. Nämlich islamisch basierte und psychologisch fundierte Hilfe zur Selbsthilfe. Eine, die sich nicht um sich selbst dreht, sondern um den anderen. Eine, die sich nicht nur an ihren Resultaten in der Ehe misst, sondern an ihrer Bedeutsamkeit vor Allah.
Denn wir haben gelernt, kein Resultat zu erwarten, sondern die Belohnung von Allah. Alles, was wir darüber hinaus erhalten, ist ein Bonus.
S. 30
Schenken lernen und Verantwortung üben
Ich will ehrlich sein: ich bin noch dabei, das zu lernen. Und den Fokus vom Bonus (den angenehmen ehelichen Nebeneffekten) auf das Wesentliche (die Zufriedenheit Allahs) zu verschieben.
Und von dem, was ich nicht habe, nicht bekomme, nicht finde zu dem, was ich in der Hand habe. Was ich geben, schenken, machen kann. Um selbst zu der Veränderung beizutragen, die ich mir wünsche.
Schritt für Schritt statt alles auf einmal
Aber, ruhig Blut! Noch ist das Ziel nicht erreicht. Noch gibt es ein paar Punkte auf der Liste.
Als da wären:
- Bedürfnisse (an-)erkennen (Schritt 2)
- Schenken statt tauschen (Schritt 3)
- Gutes sprechen statt schimpfen oder anschweigen (Schritt 4)
- Sich selbst fürsorglich behandeln (Schritt 5)
- Die Beziehung zu Allah pflegen und festigen (Schritt 6)
Aber, es muss ja nicht alles auf einmal verändert werden oder gar auf Anhieb gelingen, denn:
Große Veränderungen bestehen aus vielen kleinen Schritten. Beginne [daher] mit etwas, was dir leicht fällt […]. Mache dir klar, dass jede kleine Verbesserung eine Verbesserung ist.
S.174
So ein Seemannsknoten muss schließlich auch erstmal geknüpft werden. Schlaufe für Schlaufe. Dazu braucht es Geduld und vor allem eine gute Anleitung.
Drei Haken an der Sache
Dass die Ehe-Anleitung der Autorin im Ganzen sehr praxisnah, hilfreich und gut ist, daran habe ich keinen Zweifel. Dennoch gab es da auch ein paar Ratschläge von ihr, an die ich nicht wirklich anknüpfen konnte oder wollte.
Die Sache mit der Weiblichkeit
Probleme hatte ich insbesondere mit den Empfehlungen: Weiblichkeit zeigen (S.91ff.) und Verletzlichkeit zeigen ( S. 95ff.). Beides wurde von der Autorin als grundlegend für das Gelingen der Ehe ausgewiesen. Das möchte ich auch gar nicht in Frage stellen.
Dennoch – als ich die entsprechenden Abschnitte las, spürte ich einen inneren Widerstand. Nicht, weil ich Weiblichkeit oder Verletzlichkeit ablehne. Sondern weil die Aussagen dazu, was Weiblichkeit (siehe nächster Abschnitt) oder Verletzlichkeit sind („Verletzlichkeit zeigen ist weiblich.“ S.95), mir zu eindimensional erschienen. Zu stereotyp. Zu absolut. Und mich daher nicht so recht überzeugten.
Typisch feminin?
So listet die Autorin „einige typisch feminine Eigenschaften“ auf, wie z.B. Sanftheit, Kooperation, Zurückhaltung, Nachsicht, Häuslichkeit, Bescheidenheit, Ordnungsliebe etc. (S. 91).
Das mögen durchaus Eigenschaften vieler Frauen sein. Aber sicher gibt es auch ebenso zahlreiche Frauen, die sehr willensstark, ehrgeizig, häuslich eher unbegabt und geradlinig sind und somit viele (vorgeblich) maskuline Eigenschaften in sich vereinen. Sind sie deshalb weniger Frau?
Wer legt fest, was „typische feminine Eigenschaften“ sind?
Üblicherweise sanft?
Und was heißt: „Unter einem femininen Charakter versteht man üblicherweise Sanftheit in Verhalten und Sprache.“ (S.93)
Wer ist man? Und was ist üblicherweise?
Sanftheit ist wunderbar. Definitiv! Und sehr erstrebenswert! Aber ergibt sie sich automatisch aus dem Fakt, eine Frau zu sein?
Und ist umgekehrt eine Frau, der die Sanftheit nicht in die Wiege gelegt wurde, weniger feminin? Oder ist sie es nur auf andere Weise?
Weiblichkeit ist…
Auch die Erklärung der Autorin: „Weiblichkeit zeigen bedeutet, sich feminin zu verhalten und auszusehen“ (S. 92), schafft meiner Ansicht nach keine abschließende Klarheit in dieser Sache.
Aber vielleicht muss sie das auch nicht. Vielleicht ist die Frage danach, was Weiblichkeit ist, eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Da es eben auch nicht die Frau, sondern ganz viele verschiedene Frauen und somit zahllose Arten von Weiblichkeit gibt.
Maskulines Konfliktverhalten?
Etwas ungünstig fand ich es daher auch, wie „Weiblichkeit“ als Konzept von der Autorin zu Beginn des Abschnitts eingeführt wird. Nämlich nicht als etwas, was wunderbar vielfältig ist, sondern als etwas, was – zumindest an dieser Stelle – darüber definiert wird, was es in den Augen einiger Männer (angeblich) nicht ist.
Viele Frauen haben sich, […] maskuline Verhaltensweisen angewöhnt – besonders im Umgang mit Konflikten.
S. 91
Männer reagieren oft sehr ablehnend, wenn eine Frau sich in ihren Augen maskulin verhält, zum Beispiel ihre Wut offen auslebt, oder versucht zu dominieren oder zu führen. Sie fürchten die laute Stimme ihrer Frau…
S.93
Dazu möchte ich anmerken:
- Erstens haben sich Frauen diese Verhaltensweisen nicht angewöhnt, sondern sie vermutlich immer schon gehabt;) Immerhin haben auch die Frauen des Gesandten Allahs, saws, Allah möge ihnen barmherzig sein, gelegentlich die Contenance verloren und ihre Stimmen aus Wut oder Eifersucht erhoben. Man denke nur an die Geschichte mit der zerbrochenen Schüssel.
- Zweitens kann ich nichts sonderlich Maskulines daran entdecken, Wut offen auszuleben oder im Konfliktfall laut zu werden. Mir scheint das vor allem menschlich, unbeholfen und wenig hilfreich. Egal von welcher Seite.
- Drittens hat uns der Gesandte Allahs, saws, gezeigt, dass die laute Stimme einer verzweifelten Frau kein Grund zum Fürchten ist, sondern einer, um den eigenen Ihsan unter Beweis zu stellen!
Schlechte Angewohnheiten?
Irritiert haben mich auch einige Bewertungen bzw. Formulierungen der Autorin in Bezug auf bestimmte Verhaltensweisen von Frauen.
Eröffnen unangenehmer Gespräche
So wird direkt unter der Überschrift „Schlechte Verhaltensweisen“ eine Studie zitiert, der zufolge ca. 85% der Gespräche über schwierige Themen von Frauen initiiert werden (S.119).
Das empfand ich als etwas unglücklich platziert, denn es hörte sich für mich beim Lesen nach einem versteckten Vorwurf an (nach dem Motto: Immer diese Frauen mit ihrer Vorliebe für schwierige Gespräche;)). Ich gehe jedoch davon aus, dass dies von der Autorin so nicht beabsichtigt war.
Zumal sie im Anschluss an diese Feststellung sehr hilfreiche Vorschläge dazu macht, wie Gespräche über schwierige Themen zwischen den Ehepartnern gelingen können.
Weibliches Helfer-Syndrom?
In einer Fußnote wird angemerkt, dass (gestresste) Frauen dazu neigten, „anderen zu sagen, was sie tun sollen und wie sie es tun sollen und verstünden dies als „helfen“ (S.91, Fußnote 20) Männer würden dies aber als Bevormunden oder Anführen empfinden.
Wenngleich es sein mag, dass Frauen in Stress-Situationen gelegentlich über das Ziel hinausschießen mit ihren Lösungsansätzen (wie Männer übrigens auch), so frage ich mich dennoch: Muss man(n) die Vorschläge der Frau als Bevormundung empfinden? Wäre es nicht auch eine Option diese wertschätzend in die eigene Entscheidungsfindung einfließen zu lassen?
Das Wichtigste zuletzt?
Ein letzter Punkt, der mir aufgefallen ist: die Pflege der Beziehung zu Allah, wird zwar im ersten Kapitel bereits angesprochen, aber erst im allerletzten Kapitel (Kapitel 6) ausführlicher erläutert. Und dass, obwohl es gerade die Beziehung zu Allah ist, welche den Rahmen für die gesamte Selbst-und Beziehungsarbeit der Leserin aufspannt. Hier hätte ich es chronologisch sinnvoller gefunden, dieses Kapitel an den Anfang zu setzen.
Für alle, die sich selbst und ihren Ehemann glücklicher machen wollen
Ungeachtet dessen, dass ich mit einigen Empfehlungen und Einschätzungen der Autorin beim Lesen gehadert habe, finde ich es großartig, dass sie sich mit ihrem islamisch-psychologischen Eheratgeber für Frauen auf neues Terrain gewagt und unbekanntes Gelände für uns erschlossen hat! Wo viele andere Bücher zum Thema Ehe im Islam aufhören, nämlich da, wo der Austausch von Rechten und Pflichten aufhört und die Liebe anfängt, oder anfangen könnte – da macht sie weiter!
Sie nimmt die Leserin an der Hand und führt sie Schritt für Schritt zu einem besseren Verständnis ihrer Selbst, ihres Mannes und ihrer Ehe. Zahlreiche Impulsfragen am Ende jeden Kapitels sowie anschauliche Fallbeispiele helfen dabei, das Gelesene zu sich selbst und der eigenen Ehe in Beziehung zu setzen.
Somit kann die Lesende selbst erkennen, wo die Stellschrauben für mehr innere Verbundenheit mit ihrem Ehepartner liegen. Es liegt dann an ihr, ob sie an diesen dreht. Oder lieber nachts still und leise in ihr Kissen weint (was auch manchmal sein muss;)).
In diesem Sinne: Dreh dich glücklich. Und knüpfe dich an deinen Mann.
Kerstin Sarah Burkhard. Innige Verbundenheit. Sechs Schritte zu einer erfüllteren Ehe. Ein islamisch-psychologischer Eheratgeber für Frauen. Selbstverlag 2018, 174 Seiten für 12,90 Euro (Taschenbuch) oder 7,90 Euro (Kindle-Version). ISBN: 9781549500411
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Hinweis: Der Beitrag wurde teilweise überarbeitet und aktualisiert.
Achtung!! Der Ratgeber und die darin gegebenen Empfehlungen richten sich laut Autorin explizit nicht an Frauen in missbräuchlichen Beziehungen. Sollte deine Ehe von Gewalt geprägt sein oder dein Partner Suchtprobleme haben, suche dir bitte unbedingt Hilfe außerhalb deiner Ehe.
Danke für deine ehrliche und hilfreiche Rezension!
BarakAllahufiiki!
Gerne:)
Wa feeki barakallah.