Sich Vergleichen: Der Räuber der Freude und wie du ihn zähmst

„Der Vergleich ist der Räuber der Freude.“

Kennst du dieses Sprichwort? Bestimmt hast du es schon mal gehört. So oder so ähnlich. Und auch wenn nicht, erlebt hast du es sicher schon! Wie dir plötzlich alles, was du hast und kannst und tust ganz klein und unbedeutend und armselig erscheint – im Vergleich zu dem, was andere haben oder können oder erreichen.

Sich vergleichen tut oft weh. Da stimmst du mir sicher zu, oder?

Woran das liegt?

Das finden wir später heraus, inshaallah. Lass uns doch erstmal das Sprichwort in Alltag übersetzen.

Sich vergleichen: missmutig durch den Alltag

Das könnte dann zum Beispiel so aussehen:

Ich stehe morgens auf, gieße mir einen Kaffee ein und bin eigentlich ganz zufrieden mit mir und der Welt. Die Sonne scheint, das Kleinkind lacht und die Haare liegen direkt auch mal ganz gut.

Doch dann hole ich mein Handy raus (an dieser Stelle: bedrohliches Trommeln im Hintergrund). Und während die Milch den Kaffee küsst, werfe ich einen Blick auf das Leben der anderen. Nur kurz, versteht sich. Nur gaaaanz nebenbei. Schließlich bin ich keine von diesen Immer- Online- Mamas, hehe.

Hopplahopp, das Teufelchen

Ein Blick nach hier, ein Scroll nach da…

Schon geht es los, tatütata:

„Oh, Schwester XYZ hat noch ein Baby bekommen. Und parallel dazu hat sie ein neues Buch veröffentlicht. Mashaallah!“

Abwesend rühre ich meinen Kaffee um und ringe die Neidgefühle Minderwertigkeitskomplexe nieder. Mit mäßigem Erfolg.

Denn Hopplahopp, das Teufelchen in meinem Kopf, ist längst hellwach und kichert schadenfroh.

„Endlich Frühstück!“, denkt es sich! „Hmm, lecker Whatsapp-Nachrichten und Insta-Stories. Nix wie ran ans Buffet.“

Und schon hört man es schmatzen…

Die Reste krieg ich prompt serviert. Zerkrümelte Gedanken. Spitz und kantig und gar nicht lecker.

Zum Beispiel solche:

Die andere Mutter und Ich

„Sieben Kinder hat sie, allahummabarik. Und dann auch noch ein Buch geschrieben. Mashaallah! Und ich? Ich habe nur zwei, drei, vier Kinder. Und bin trotzdem total geschafft (Please don´t tell anyone!) Und das einzige, was ich online eingebracht habe, sind meine Longtail-Looser-Keywords bei Google.

À la:

Die Freizeit-Profis und Ich

„Und ah, Schwester ABC hat am Wochenende mit ihren Kindern einen pädagogisch wertvollen Ausflug in den Wald gemacht. Mit Würstchen und Stockbrot und Naturerziehung und so…

Und ich?

Habe es gerade mal geschafft, mich zum nächstgelegenen städtischen Spielplatz zu schleppen und ein halbes Dutzend Sandeis in Plastewaffeln zu verzehren.

Was für ein müder-mieser Mama-Muffel ich doch bin!

Und dann auch noch das hier:

Das richtige Mindset und Ich

Ach, und Bruder DEF hat wieder einen ganz tollen Livestream geschaltet mit richtig guten Tipps zum richtigen Mindset und so. Er strahlt das auch voll aus. Sieht immer so entspannt aus. Lächelt sanft. Und spricht in kohärenten Sätzen.

Und ich?

Zucke furchtsam zusammen, wenn mir mein gestresstes Selbst aus dem Spiegel entgegen grimmt. Bin total entspannt. Nicht! Und kohärente Sätze? Forget about it!

So geht es fort und immerzu steigt Zweifel auf in meine Ruh – und ruft und lärmt:

„So schlecht bist du!“ „So klein bist du!“ „So arm bist du!“

Was natürlich nicht stimmt!

Oder vielleicht doch?

Sich vergleichen: wie Kirschkerne im Kopf!

Das kleine Teufelchen hat es sich in meinem Kopf herrlich bequem gemacht. Es spuckt mir kratzige Gedanken ins Gehirn wie andere Leute Kirschkerne in die hohle Hand:

„Wie machen die das bloß alle?“

„Und wann?“

„Warum kann, habe, schaffe ich das alles nicht?“

„Was mache ich nur falsch?“

„Und was ist eigentlich mit meinem Mindset nicht in Ordnung?“

„Habe ich überhaupt eins?“

„Warum bin ich nicht so entspannt, aktiv, erfolgreich, sorgenfrei, glücklich verheiratet, gesund ernährt, wohl temperiert, super strukturiert, top organisiert und super gut trainiert – wie XYZ?

Oder:

„Warum habe ich keinen Garten vor der Tür, keinen Wald hinterm Haus, kein Pool vor der Nase, kein Pferd im Stall, keine Katze auf dem Sofa, keine Promotion in der Tasche, keinen Mumm in den Knochen – wie CDEFG?“

Kurz:

„Warum bin ich so eine arme Versagerin?“

Puh… Heul…Seufz…und Ach! Der Tag ist noch so jung. Und doch schon voller Ungemach.

Sich vergleichen: ein Weg ins Verderben?

Das alles kommt dir bekannt vor?

Willkommen im Jammer-Tal der Selbstzweifel, wo allüberall nur Disteln blühen! Wo das Selbstmitleid wuchert und der Frust schneller wächst als die Vogelmiere im Schulgarten nebenan.

Wie sind wir bloß hierher geraten? Und vor allem – wie kommen wir hier wieder raus?

Das Leben der anderen

Fangen wir mit der ersten Frage an – damit wie alles begann:

Mit einem Kaffee. Richtig! Aber der kann nix dafür.

Mit einem Blick auf das Handy? Das ist schon ganz nah dran! Aber noch zu unpräzise. Denn um genau zu sein, war es vor allem der Blick auf das vermeintlich bessere Leben der anderen, mit dem das ganze Elend begann.

Dieser (neidvolle?) Blick ließ eine unsichtbare Dornenhecke wachsen, an der wir uns eifrig die Augen ausstechen. Wie all die ungeduldigen Prinzen, die Dornröschen vor der Zeit aus ihrem hundertjährigem Schlaf wecken wollten.

Dieses Blicken auf das, womit Allah die anderen gesegnet hat, verstellt uns den Blick. Den Blick auf uns und unser Leben. Und auf das, womit Allah uns beschenkt hat.

Sehend und doch blind

Wir blicken auf das, was andere haben. Zum Beispiel sieben Kinder und ein selbstgeschriebenes Buch. Und übersehen dabei das Baby in unserem Arm, das sich friedlich schlummernd an uns schmiegt. Lebendig und warm. Und die Zeilen, die wir gerade schreiben. Und die immerhin ein Anfang sind…

Wir blicken auf das, was andere machen. Zum Beispiel tolle Ausflüge in den herbstbunten Wald. Und sind blind für das, was wir selbst machen können. Zum Beispiel uns darüber freuen, dass wir so ein liebes und großzügiges Kind haben, das uns mit Unmengen liebevoll gefüllter Sandeis-Waffeln verwöhnt und ganz und gar zufrieden ist mit seinem Spielplatz-Schicksal.

Wir blicken auf das, was andere können. Zum Beispiel inspirierende Mind-Set-Videos drehen. Und verlieren aus den Augen, was wir selbst gut können. Zum Beispiel Gedichte schreiben. Oder Kaninchen züchten. Oder einen tristen Vorgarten in ein rauschendes Kunterbunt verwandeln.

Und deshalb fühlen wir uns arm. Und benachteiligt. Unfähig. Unnütz. Und ja, auch unglücklich.

Wir sind dann Gefangene unseres eigenen Blicks. Machen uns die Welt eng und schwer und unser Herz dunkel.

Sich vergleichen: eigene Gaben in den Blick nehmen

Aber diese Piekse-Hecke, die ist nicht alles!

Sie wächst nur, wenn wir sie lassen. Wenn wir also wollen, dann können wir sie zerteilen und auf das blicken, was jenseits ihrer dornigen Trübsal liegt.

Aber was ist das, da jenseits der Hecke?

Das sind wir. Das, was wir haben, können und sind. Also all das, womit Allah, der Schenkende, uns gesegnet hat:

Zum Beispiel:

  • unsere Familie
  • unsere Freunde
  • unser Zuhause
  • unser Körper
  • unser Verstand
  • unsere Religion!
  • unsere Talente
  • unsere Stärken und Schwächen
  • unsere Erfahrungen
  • unser Wissen
  • und vieles, vieles mehr. Unzählbar vieles!

Denn Allah sagt im Quran:

Und wenn ihr die Gunsterweise Allahs aufzählen wolltet, könntet ihr sie nicht berechnen. Wahrlich, der Mensch ist ungerecht und undankbar! würdet es nicht vermögen.

Quran, Sura 14:34

Allahs Versorgung und Bestimmung

Jenseits dieser dornigen „Die-anderen-können-und-haben-es-besser- Hecke“, liegt somit unser Rizq und unser Quadr.

Wir werden nicht von dieser Welt gehen, ohne dass wir zuvor alles erhalten haben, was für uns bestimmt ist.

Und es wird (uns) nichts geschehen als das, was Allah für uns bestimmt hat.

Denn, der Gesandte Allahs, saws, sagte:

Wahrlich, ein jeder von euch wird hinsichtlich seiner Erschaffung im Bauch seiner Mutter vierzig Tage zusammengebracht. Darauf ist er ebenso lange ein Blutgerinnsel, darauf ebenso lange ein Fleischklumpen. Darauf sendet Er zu ihm einen Engel, dem befohlen wird, vier Sachen aufzuschreiben: seine Taten, seine Versorgung (Rizq), seinen Todeszeitpunkt und ob er verdammt oder selig sein wird.

Sahih Buchary

Und außerdem:

„Wisse, dass das, was dich verfehlte, dich nicht treffen sollte. Und dass das, was dich traf, dich nicht verfehlen sollte.“

Riyad-us-Salihin, Nr. 62

Es gibt also weder einen Grund noch eine Rechtfertigung für dieses neidvolle Blicken auf die Versorgung und das Leben der anderen.

Wir könnten also eigentlich ganz entspannt und zufrieden sein.

„Sind wir aber nicht!“

Ja, du hast ja recht. Irgendwie sticht und stachelt es immer noch und piekst und brennt. Und so richtig was sehen, können wir auch noch nicht.

Aber alhamdullilah, wir sind Muslime! Und es gibt ein Schwert, das diese Hecke für uns teilen kann:

die Sunna des Gesandten Allahs, saws!

Sich vergleichen: Das lehrt uns die Sunna

Er, der Gesandte Allahs, saws, hat uns gelehrt, wie ein Vergleich zu führen ist, der uns vor dem Erblinden schützt und uns sehend macht für die Segnungen unseres Schöpfers.

Er, saws, sagte:

Blicke zu jenen, die unter dir sind, und nicht zu jenen, die über dir sind, denn dies ist besser geeignet, dich davor zu bewahren, die Gaben Allahs gering zu schätzen.

Sahih Muslim

Was können wir aus diesem Hadith lernen?

  • Vergleiche zu ziehen zwischen sich und anderen ist nichts, was grundsätzlich falsch, schlecht oder schmerzhaft sein muss. Es gehört wohl zum Menschsein dazu, sich mit anderen zu messen, herauszufinden, wo man steht. Es geht also gar nicht darum, das Vergleichen loszuwerden, sondern vielmehr darum, es in die richtige Richtung zu lenken. Dann kann es sogar sehr positive Folgen haben!
  • Entscheidend dafür ist das Wie des Vergleiches. Wie wir uns vergleichen, entscheidet darüber, ob wir uns in Neid, Selbstzweifeln und Undankbarkeit verlieren oder zunehmend achtsamer und dankbarer mit den Gaben Allahs umgehen.

Was genau das bedeutet?

Das schauen wir uns jetzt an:)

Die richtige Blickrichtung

Der Gesandte Allahs, saws, hat uns gezeigt, in welche Richtung wir unsere Blicke lenken sollten, wenn wir uns vergleichen. Und in welche nicht!

Lass uns diese Lehre auf unser alltägliches Leben übertragen und mein obiges Beispiel mit der siebenfachen Mutter aufgreifen…

Überleg mal:

Was passiert, wenn du als Zweifachmutter auf die sieben Kinder einer anderer Mutter schaust? Erscheinen dir deine eigenen zwei nicht plötzlich wenig? Vielleicht sogar zu wenig?

Und jetzt stell dir vor, du triffst eine Frau, die sich seit Jahren sehnlichst ein Kind wünscht, aber keines bekommen kann. Oder eine Mutter, die gerade ihr geliebtes Kind zu Grabe getragen hat. Die zu Hause eine leere Wiege stehen hat, in der kein Atemzug mehr zu hören ist.

Wie wirst du jetzt auf deine zwei Kinder schauen? Du wirst verstehen, wie reich du gesegnet bist. Wie schön es ist, dass du deine Kinder in den Arm nehmen, küssen und umsorgen kannst, anstatt ihr Grab auf dem Friedhof zu besuchen. Und du wirst dich dankbar fühlen. Dankbar dafür, Mutter zu sein. Mit Kindern gesegnet zu sein.

Das Blicken auf diejenigen, die mehr (Kinder, Geld, Talente, usw.) haben als wir selbst, kann also dazu führen, dass wir unsere eigenen Segnungen gering schätzen. Wir geraten dann schnell in die Fänge des Neides und werden missmutig, traurig und unzufrieden.

Möge Allah uns davor bewahren.

Vorhandenes wertschätzen statt Nichtvorhandenes bedauern

Wenn wir aber zu jenen schauen, die weniger gesegnet sind als wir – dann geschieht etwas anderes. Der Schleier der Gewohnheit schwindet lautlos von unseren müden Augen.

Plötzlich nehmen wir überdeutlich war, dass wir in den Gaben Allahs schwimmen! Wir erkennen, dass Allah, der Allerbarmer, uns vor vielem bewahrt hat, mit dem Er andere prüft. Und dass Er uns reich beschenkt hat aus Seiner unendlichen Fülle.

Das ist der Anfang für mehr Dankbarkeit. Für mehr „Alhamdullilah“, für mehr Lobpreisen und demütig sein. Für Tränen in den Augen und für neue Fragen. Denn wenn wir aufhören zu fragen, warum habe ich dies und das und jenes nicht oder warum kann ich dies und das und jenes nicht, dann kommen uns ganz andere Fragen in den Sinn.

Über sich hinaus denken

Fragen, die nicht stehenbleiben, bei dem, was wir haben. Oder eben nicht. Können oder nicht. Fragen, die über uns selbst hinausreichen. Hin zu anderen. Hin zu Bedürftigen. Hin zu Trauernden. Hin zu Geflüchteten. Hin zum Geben. Zum Schenken. Zum Tun.

Dann wird aus:

„Was habe ich?“ – „Was habe ich zu geben?“ und aus

„Was kann ich?“ wird „Was kann ich damit für andere tun?“

Diese Fragen haben damit das Potential, das schöne und lobenswerte Gefühl der Dankbarkeit in gute Taten umzuwandeln und anderen zu geben. Anderen zu helfen. Anderen ihre Not zu erleichtern.

Mit einer Spende von unserem Besitz. Mit einem Dua für eine trauernde Schwester. Mit einem Lächeln von unserem Glück. Mit einem Wort aus unserem Herzen.

Das ist gut für andere. Und gut für uns.

Denn Allah sagte im Quran:

„Wahrlich, wenn ihr dankbar seid, dann werde Ich euch noch mehr geben. Seid ihr jedoch undankbar, dann ist Meine Strafe streng.

Quran, Sura 14:7

Vergleichsweise glücklich: Alhamdullilah!

Wenn also das nächste Mal die Milch den Kaffee küsst, dann küss du dein Baby. Oder deinen Mann:) Oder schicke einen lieben Gruß an deine Nachbarin. Und sage und fühle:

„Alhamdullilah, dass es dich gibt, mein Baby. Und mich. Diesen Morgen. Diesen Himmel. Und diesen heißen Kaffee mit ganz viel Zucker drin. Und alhamdullilah für diesen Kuss, den ich dir schenken kann.

Alhamdullilah, dass ich Muslim bin und dieses Hadith habe, mit dem ich den Räuber der Freude so freudvoll und lächelnd besiegen kann.

2 Kommentare bei „Sich Vergleichen: Der Räuber der Freude und wie du ihn zähmst“

  1. Ma scha Allah, das ist sehr schön geschrieben.
    Ein wichtiges Thema, sprachlich so wunderschön verpackt!
    Ich danke dir für diesen Text, mit dem du uns an eine wichtige Eigenschaft erinnerst, Barak Allah fiki.

    1. Wa feeki barakallah, liebe Schwester. Ich freue mich sehr über deine Worte. Dankeschön:)

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