Stell dir vor – eines Morgens wachst du auf. Und nichts ist mehr, wie es war.
Die Nacht hat dich verwandelt.
Plötzlich bist du nicht mehr die fröhliche, fitte, vorbildliche Muslima, die du gestern noch warst. Oder gewesen zu sein schienst.
Plötzlich bist du eine tieftraurige, tränenüberströmte, trostbedürftig Muslima. Unfähig aufzustehen. Zu schwach. Um weiter zu machen. Wie bisher.
Wie Kafkas Käfer
Wie Kafkas Käfer liegst du da. In deinem Bett. In deinem Elend. In deiner unendlichen Einsamkeit.
Auf den Rücken geworfen vom schwarzen Dunkel einer DEPRESSION.
Ohnmächtig. Verlassen. Regungslos.
Draußen vor der Tür
Die Tür geht auf. Und wieder zu.
Abwehr macht sich breit. Draussen vor der Tür.
„Wie kann sie nur…
so schwach sein. So hilflos und bedürftig. So elendig und unbeherrscht.
Muss wohl selber schuld sein. Hat nicht aufgepasst. Sich zu oft beklagt. Zu wenig getan. Für ihre Religion. Für ihren Iman.
Da kann man nichts machen. Schnell weg von ihr. Schnell fort von hier.“
Drinnen vor der Tür – Teil I
Drinnen vor der Tür. Liegst du. Allein gelassen.
Mit deinem Herzen voller Angst. Mit deiner Seele voller Abgrund. Mit deinem Mund, der flüstert:
„So hilf mir doch, du meine Schwester!“
Die Hände nach ihr ausgestreckt. Nach ihr, die davon gegangen ist. Ohne – sich noch einmal um zu sehn.
Drinnen vor der Tür – Teil II
Die Tür geht auf. Herein kommt sie.
Sieht dich liegen. Da im Bett. In deinem Elend. Deiner Scham.
Kommt zu dir und setzt sich hin. Zu dir. Ans Bett. Nimmt deine Hand. Und deine Angst.
Bittgebete für dich
Und spricht ein Bittgebet für dich:
Sei unbesorgt; so Allah will, wird es eine Reinigung (von Sünden) sein.
Ich bitte Allah, den Gewaltigen, den Herrn des gewaltigen Thrones, dass Er dich heilt. (7x)
Hisnul Muslim (147/1 und 148/2)
Und eines lehrt sie dich:
Oh Allah, ich bin deine Dienerin. Tochter deines Dieners und Tochter deiner Dienerin. Du bist Herr über mich, Deine Entscheidung über mich wird immer ausgeführt und deine Bestimmung über mich ist gerecht.
Ich bitte dich mit allen Deinen Namen, mit denen Du Dich selbst benannt hast, oder die Du in Deinem Buch herab gesandt hast, oder die Du einem Deiner Geschöpfe lehrtest, oder die Du mit Deinem verborgenen Wissen bei Dir aufbewahrst,
dass Du den Quran zum Frühling meines Herzens, zum Licht meiner Brust, zur Beseitigung meiner Trauer und zum Schwinden meines Kummers machst.
Hisnul Muslim (120/1)
Seine Entscheidung – (d)eine Prüfung
Dann lächelt sie. Und erwartet nichts. Als den Lohn Allahs. Kein Lächeln von dir. Die du nicht mehr lächeln kannst. Keinen Dank dafür, dass sie gekommen ist. Keine Entschuldigung dafür, dass du so bist.
Denn sie weiß, dass Er es ist, der dich mit diesem Dunkel prüft. Und sie, die es betritt.
Sie weiß, dass diese deine Lage Seine Entscheidung ist. Nicht deine. Und dass am besten für dich ist, was Er für dich entscheidet.
Sie weiß, dass …
Sie weiß, dass du krank bist. Und nicht schlecht. Sie weiß, dass du Hilfe brauchst. Und keine Vorwürfe. Sie weiß, dass du Nähe brauchst. Und keine Abwehr. Sie weiß, dass du Rat brauchst.
Offene Ohren. Offene Arme. Und offene Herzen. Immer. Aber besonders jetzt.
Sie weiß, dass sie dort bei dir, an deinem Krankenbett von Barmherzigkeit bedeckt ist. Von den Früchten des Paradieses erntet und die Bittgebete der Engel ihr zuteil werden.
Wer einen Kranken besucht, …
Denn der Gesandte Allahs, saws, sagte:
Wer auch immer eine kranke Person besucht, taucht in Barmherzigkeit ein, bis er sitzt. Und wenn er sitzt, ist er darin versunken.
Ahmad, in Silsila-al-Saheeha, 2504
Es gibt keinen Muslim, der einen kranken Muslim in den frühen Morgenstunden besucht, ohne dass siebzig Tausend Engel Segnungen auf ihn senden, bis der Abend eintrifft. Und wenn er ihn am Abend besucht, siebzig Tausend Engel Segnungen auf ihn senden, bis der Morgen eintrifft. Und er wird einen Garten im Paradies haben.
Tirmidi (969)
Sie hilft dir auf und hilft dir weiter
Sie hilft dir auf. Wäscht dein Gesicht. Nimmt deine Hand und deinen Mantel. Und geht mit dir dorthin, wo noch mehr Hilfe ist.
Zum Arzt.
Zum Psychologen.
Zu einem, der gläubig und wissend ist.
Und ein Herz hat, das versteht.
Sie bleibt an deiner Seite
Sie geht mit dir. An deiner Seite. Und lässt die anderen wissen: Sie ist nicht schuld. Nicht falsch. Nicht schlecht.
Sie ist nur krank. Und kämpft. Mit einem kleinen Licht. Gegen großes Dunkel.
Zum Weiterlesen:
Malika Laabdalloui, Ibrahim Rüschoff: Ratgeber für Muslime bei psychischen und psychosozialen Krisen. 1. Auflage, Psychiatrie Verlag, 2005.
https://muslimmatters.org/tag/depression/
https://www.islamische-beratung.com/beratung/
https://www.islamundpsychologie.de/
Warst du schon einmal von einer Depression betroffen? Oder bist du es noch? Wie gehst du damit um? Und wie wird mit dir umgegangen?
Oder kennst du eine Schwester, die an Depressionen leidet? Wie gehst du damit um?
BaralAllahufiiki für diesen – weidermal – sehr schönen Text!
Ich habe mich sofort in ihm wiedergefunden. In jeder Zeile.
Ja, ich durchlitt auch einmal eine sehr starke Depression. Auch, wenn ich schon davor Achtung und Verständnis für Menschen hatte, die davon betroffen waren, konnte ich doch erst WISSEN, was es heißt eine Depression zu haben, als ich es selbst erlebte.
Es ist eine Krankheit, die voller Dunkelheit, Verzweiflung und Selbsthass ist. Und doch kann man aus ihr herausfinden. Am besten gelingt dies mit Menschen, wie du sie beschrieben hast.
Möge Allah den Kranken und Helfenden Balsam und gewaltigen Lohn zukommen lassen.
Assalamualeykum wr wb.
Wa alaikum assalam wr wb liebe Namika,
wa feeki barakallah. Amin, ya rabb.
Ja, nur wer eine Depression selbst durchlitten hat, kann wissen, wie sich das anfühlt.
Dieses Dunkel, das einen niederdrückt. Das die Farbe aus dem Leben nimmt. Den Klang. Und die Lebendigkeit.
Auch ich habe in meinem Leben schon eine depressive Phase erlebt.
Alhamdullilah, ist es, wie du sagst, meist möglich, wieder herauszufinden. Allerdings selten – allein.
Darum ist es so wichtig, dass es Menschen gibt, die da sind und da bleiben. Auch wenn es in dir dunkel wird.
Wo ihnen das innere WISSEN fehlt (alhamdullilah!), weil ihnen diese Erfahrung erpart blieb, kann Einfühlsamkeit und praktische Unterstützung den Graben überbrücken.
Das ist wichtig zu wissen, für alle die selbst oder mit-betroffen sind.
Denn eine Depression kann jeden treffen. Auch Menschen, die sehr gläubig sind. Und auf Allah vertrauen.
As salamu aleikum, ich bin eine Schwester die eine schwere Depression hat und ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll.
Ich suche eine Schwester die mit mir Kontakt pflegen kann sei es auch nur telefonisch ich bin wirklich ratlos und überfordert.
Iiebe Grüße
Wassalam
[…] Jenseits des gesichtslosen Dunkels, das dich gefangen hält. Jenseits der qualvollen Stille, die dich umschließt. […]