Kennst du das auch? Wieder einmal nimmst du dir am Ende eines langen Tages vor: „Morgen, inshaallah, fange ich endlich an, den Quran auswendig zu lernen. Mehr darin zu lesen. Die Suren zu wiederholen, die ich schon kenne. Diesmal ist es mir wirklich ernst. Diesmal werde ich es schaffen, inshaallah!“
Du bist hochmotiviert und gehst – ins Bett.
Der Tag beginnt – und mit ihm der Wettlauf gegen die Zeit
Dann wachst du auf. Der Tag beginnt. Und wieder: sind die Kinder zu laut, die Wäscheberge zu hoch und das Handy voller Nachrichten, die auf Antwort drängen. Du fühlst dich müde. Hast wie so oft die halbe Nacht durchgestillt und kaum Schlaf gefunden. Dennoch gibst du dein Bestes, um die Kinder zu beruhigen, die Wäscheberge abzutragen und dein Handy zu ignorieren. Du tröstest, bereitest Essen vor, wickelst dein Baby, räumst die Wohnung auf, hilfst den Größeren bei den Hausaufgaben, erledigst ein Telefonat für deinen Mann…
Kaum, dass du einmal nicht müde bist…
Und wenn du dann endlich einmal zur Ruhe kommst, ist der Tag auch schon wieder vorbei. Ohne dass du eine einzige Aya auswendig gelernt hättest! Ähnlich ergeht es dir am nächsten Tag und am übernächsten. Eine ganze Woche schwindet im Nu dahin. Ein Monat. Der Sommer. Dein Leben!
Wie welke Blätter, die leise und vollkommen von den Bäumen fallen, rieseln deine Lebensstunden aus dir heraus. Still und unaufhaltsam.
Wie schade, wenn sie gehen, ohne dass deine Zunge Allah erwähnt hat. Ohne dass deine Ohren, Seinem Wort gelauscht haben. Ohne dass dein Herz im Gedenken an Ihn Ruhe finden konnte. Zuflucht. Frieden.
Nutze Allahs Geschenk an dich
Heute ist ein neuer Tag. Er ist Allahs Geschenk an dich. Nimm es an. Greife nach ihm wie ein Kind nach der Hand seiner Mutter. Voller Vertrauen, voller Liebe, voller Sehnsucht nach dem, was an Barmherzigkeit darin verborgen liegt. Lasse diesen Tag nicht los. Nicht, bevor du etwas in ihn hineingelegt hast. Ein Alif, ein Lam, ein Mim. Eine Aya, eine Sura, einen Juz. Die mit ihm gehen. Und doch bei dir bleiben. Denn der Gesandte Allahs, saws, sagte:
Wer auch immer einen Buchstaben aus dem Quran liest, wird eine Hasanah (Belohnung) dafür bekommen und die Hasanah wird verzehnfacht.Ich sage nicht, dass Alif Lam Mim ein Buchstabe ist. Sondern Alif ist ein Buchstabe. Lam ist ein Buchstabe. Und Mim ist ein Buchstabe.
Tirmidi, Ad-Darimi
9 Ratschläge für das Auswendiglernen des Qurans
Damit inshaallah kein Tag deines Lebens mehr ohne den gesegneten Quran vergeht und du nie wieder einen Abend erreichst, ohne eine Aya für dich vorausgeschickt zu haben, habe ich wertvolle Ratschläge zum Lesen und Auswendiglernen des Qurans für dich zusammengetragen. Besonders inspiriert haben mich dabei die Empfehlungen von Sheikh Yassir Qadhi.
Und los geht es:
1) Fasse eine aufrichtige Absicht
Wichtiger als alles andere ist dein Warum. Es entscheidet darüber, ob du deine Zeit verlierst oder sie umwandelst in den Lohn der Ewigkeit. In Hasanat. Denn der Gesandte Allahs, saws, sagte:
Die Taten sind entsprechend den Absichten. Jedem Menschen gebührt, was er beabsichtigt hat. […]
Sahih al-Buchary, Kapitel 1, Hadith-Nr.1
Daher – wenn du den Quran liest und auswendig lernst, dann erstrebe dabei immer nur eines: das Wohlgefallen Allahs! JEDES EINZELNE MAL.
Denn eine aufrichtige Absicht ist die Bedingung dafür, dass Allah deine Bemühungen von dir annimmt. Sie ist etwas Kostbares. Etwas, um das du immer aufs Neue ringen musst. Ein Schatz, den es zu verteidigen gilt gegen die Bedürfnisse deines Nafs (Ego), das sich nach Lob und Bestätigung sehnt. Lass dein Nafs hungern. Und koste dafür die Früchte des Jenseits!
2) Lies und lerne regelmäßig
Dein Erfolg beim Lesen und Auswendiglernen des Qurans hängt davon ab, dass du dir regelmäßig Zeit dafür nimmst. Ich weiß, die Tage mit Kindern, ob klein oder groß, sind oft wild und bunt wie ein Laubhaufen bei Sturm. Es gibt so vieles, was dazwischen kommen kann: Grippevirenkommandos, Küchen-Chaos-Tage, Kinderzimmerkämpfe…
Dennoch: Halte fest! An deinem Ziel! Reiche Tee und Taschentücher, schließe die Küchentür (oder deine Augen), sprich ein Machtwort. Oder zwei. Und dann:
LIES! Und wenn es nur fünf Ayat sind bis zum nächsten „Mama!!“. Achte das „Wenige“, das du schaffst, nicht gering. Denn:
Aischa, ra, berichtete, dass der Gesandte Allahs, saws, sagte:
Die von Allah am meisten geliebten Taten sind die regelmäßigen, selbst wenn sie nur gering sind.
Buchari und Muslim
3) Lege deine Quran-Zeit fest
Um dir selbst dabei zu helfen, den Quran regelmäßig zu lesen, solltest du feste „Quran-Zeiten“ in deinem Tag reservieren. Überlege dir: wann habe ich am meisten Ruhe? Wann gibt es Pausen in meinem Alltag, welche ich dem Quran widmen könnte? Finde deine „Für mich Zeit“ mit dem Quran!
Besonders empfehlenswert ist das Rezitieren des Qurans zu diesen Zeiten:
- In der Morgendämmerung, nach dem Fajr-Gebet.
- In der Stille der Nacht, wenn alle Stimmen schweigen, außer die, die Ihres Herrn gedenkt.
Aber auch wenn du den Mittagsschlaf deines Babys oder andere Ruhezeiten deiner Familie für das Lesen und Lernen des Qurans nutzt, wird es gut für dich sein, inshaallah. Und es wird dir gut tun! Inshaallah wirst du ebenso frisch und gestärkt aus deiner Quran-Zeit hervorgehen, wie dein Baby aus seinem Schläfchen.
4) Sorge für die richtige Atmosphäre und entwickle feste Gewohnheiten
Wähle für das Lesen und Lernen des Qurans eine ruhige Umgebung, in der du von vertrauten Dingen umgeben bist und dich wohl und geborgen fühlst.
Lies, wenn möglich, immer am gleichen Platz, zur gleichen Zeit, im gleichen Mushaf.
WARUM?
- Gewohnheiten schaffen ein Netz, das dich auffängt, wenn deine Motivation einmal abstürzen sollte. Oder dein Gedächtnis:)
- Wenn du immer den gleichen Mushaf (Ausgabe des Qurans) benutzt, wirst du auswendig gelernte Suren eher vor Augen haben, als wenn die „Kulisse“ ständig wechselt und somit auch die Aufteilung der Ayat und die Struktur der Seite.
- Zudem kannst du dann mit Bleistift kleine Anmerkungen oder Hinweise anfügen, die dir als Erinnerungsstütze dienen.
- Mein Tipp: Gestalte auch deinen „Quran-Ort“ persönlich und besonders. Mit einem weichen Gebetsteppich. Einem kleinen Regal voller islamischer Bücher, die dir am Herzen liegen. Einer Vase voller Sommerblumen..
- Genieße diese Zeit an diesem Ort. Aber vor allem: Genieße das Lesen des Qurans!!
5) Wiederhole, wiederhole, wiederhole
Damit die Worte Allahs sich in deinem Herzen niederlassen und in deinem Gedächtnis beheimaten, musst du sie immer und immer wieder lesen. Wiederholen. Wiederholen. Und nochmals wiederholen. Denn nur so prägen sie sich dir ein und bleiben dir in Erinnerung. So sagte der Gesandte Allahs, saws:
Sichert den Quran (gemeint: das auswendig Gelernte), denn dieser flüchtet schneller als das Kamel von seinen Fesseln.
Buchari und Muslim
Bereits Gelerntes kannst du auch außerhalb deiner festen Quran-Zeit wiederholen. Zum Beispiel während du auf etwas wartest (an der Haltestelle, beim Arzt, in der Einkaufsschlange) oder etwas tust, wobei du nicht viel nachdenken musst (Wäsche zusammen legen, Küche aufräumen, bügeln). Fülle diese „leeren Zeiten“ mit Hasanat!
Eine weitere Möglichkeit, Gelerntes zu festigen, ist das Rezitieren im Gebet! Eine mir bekannte Schwester liest beispielsweise alle Suren, die sie auswendig kennt, der Reihe nach in ihren Gebeten. Um keine zu vernachlässigen und alle zu bewahren. Und sie ist damit sehr erfolgreich! Allahummabarik.
6) Baue eine Beziehung zum Quran auf
Wenn du den Quran liest und lernst, dann lies ihn nicht, „um die Sure zu beenden“. Lies ihn als Brief an dich. Suche darin die Antwort auf deine Fragen. Entdecke in ihm das Heilmittel für deine Traurigkeit und die Quelle deiner Freude. Finde im Quran die Anleitung für dein Leben!
Damit dir dies gelingt, denke über die Bedeutungen der Verse und Suren nach, die du rezitierst. Nimm einen Tafsir (Quran-Kommentar) zu Hilfe. Besonders zu empfehlen ist der von Ibn Kathir. Leider gibt es noch keine vollständige Übersetzung auf Deutsch, sondern nur Auszüge davon. Aber auch diese enthalten bereits sehr viel Wissen, alhamdullilah! Erfahre daraus etwas über den Anlass der Offenbarung. Über Zeit und Umstände der Herabsendung der jeweiligen Ayat sowie ihre Interpretation durch die Gelehrten.
Versuche die Bedeutungen den einzelnen arabischen Wörtern zuzuordnen, damit du verstehst, was du liest. Es fällt dir dann auch leichter, dir diese Worte zu merken und sie an anderen Stellen im Quran wiederzuerkennen.
7) Höre den Quran
Umgebe dich so oft wie möglich mit der Rezitation des Qurans. Höre dir die Suren, die du auswendig lernen möchtest, vorher an. Aber auch jene, die du festigen willst. Höre genau zu. Achte darauf, wie die einzelnen Buchstaben ausgesprochen werden. Wo Pausen eingelegt und wo welche Längen gelesen werden. Dann versuche so zu rezitieren, wie du es gehört hast. So kannst du die richtige Aussprache und die korrekte Anwendung der Tajweed-Regeln praktisch einüben bzw. vervollkommnen.
Tipp: Sheikh Mahmood al Housary rezitiert sehr deutlich und langsam, so dass es dir leicht fallen sollte, die einzelnen Buchstaben, Längen und Betonungen herauszuhören.
Aber auch, wenn du dich nach innerer Ruhe und Frieden im Herzen sehnst, ist das Hören des Qurans das beste Mittel. Denn:
(Es sind) diejenigen, die glauben und deren Herzen im Gedenken an Allah Ruhe finden. Sicherlich, im Gedenken an Allah finden die Herzen Ruhe.
Sura 13:28
8) Suche dir Quran-Gefährten
Allein ist es oft schwierig, beim Lernen „dran“ zu bleiben und bei Problemen nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Oder in die Küche:) Daher: finde jemanden, der dich beim Lernen des Qurans unterstützt und begleitet. Das könnte z.B. eine liebe Schwester sein, die in deiner Nähe wohnt. Eine wissende Quran-Lehrerin. Dein geduldiger Ehemann, deine große Tochter, dein belesener Bruder… Einfach jemand, auf den du dich verlassen kannst und der für dich da ist. Auch wenn es schwierig wird. Besonders dann! Am besten wäre es natürlich, wenn dein Quran-Gefährte gemeinsam mit dir lernt. Dann könntet ihr z.B.:
- einander vortragen, was ihr auswendig gelernt habt
- Etappen für das Auswendiglernen festlegen und „kontrollieren“, ob ihr sie erreicht habt
- eure Erfahrungen und Erkenntnisse beim Lesen und Lernen des Qurans miteinander teilen
- euch über Lerntechniken, Lernmittel (Apps!) oder hilfreiche Literatur austauschen etc.
- und gemeinsam Hasanat sammeln!
9) Lege deine Etappen fest
Bevor du nun voller Vorfreude und aufrichtiger Motivation den Quran aufschlägst, fest entschlossen ihn auswendig zu lernen – halte noch einen Moment inne. Überhaste dich nicht. Denn du hast eine lange, wunderschöne Reise vor dir. Mit dem besten aller Gefährten – dem Quran. Darum: Bereite sie gut vor und plane deine Reise-Etappen!
Hier ein Beispiel für einen Quran-Reiseplan:
- Unterteile den Quran in drei große Abschnitte (Juz 30, 29, 28, Juz 28 -Sura al-Kahf, Sura al-Kahf -Sura al-Baqara).
- Unterteile den jeweiligen Juz in drei Teile.
- Gliedere die einzelne Suren in sinnvolle Abschnitte (thematisch in sich geschlossene Blöcke) und lege fest, wie viel Ayat du pro Tag bzw. pro Woche lernen möchtest. Sei dabei realistisch und berücksichtige deine persönlichen Voraussetzungen (Vorwissen, Zeit, Unterstützung etc.).
Und nun: brich auf, meine geehrte Schwester. Noch heute. Nicht erst morgen! Nutze jeden einzelnen Tag, den Allah dir schenkt. Und lies. Und lerne: Aya für Aya. Sure für Sure. Juz für Juz. Freue dich über jeden einzelnen Buchstaben, den du gelesen hast. Über jede Aya, die du gelernt hast. Über jede Sure, die du vollendet hast. Genieße jeden Schritt, denn jeder von ihnen ist wichtig und wertvoll und in sich segensreich! Und – er bringt dich Allah näher!
Möge Er, dessen Worte du lernen möchtest, dir helfen, dein Ziel zu erreichen.
Deine Umm Abdurrahman
Findest du diese Anleitung hilfreich? Oder hast du noch andere Ideen, die das Auswendiglernen des Qurans erleichtern? Ich würde mich sehr freuen, wenn du dazu einen Kommentar schreibst. Barakallahufeeki.
Quellen:
https://muslimmatters.org/2009/10/27/13-steps-to-memorize-the-quran-by-yasir-qadhi/
https://medium.com/how-to-memorise-the-quran/how-i-memorized-the-quran-377c55d2a334
Bildquellen:
Bild 1 von Ejup Lila auf Pixabay
Bild 2 Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Ich schaffe es weder zum Fadj (zu müde), noch in der Nacht (auch zu müde) zu lesen und zu lernen. Aber ich nehme mir manchmal am Tag (ja, auch gern wenn alle Kinder da sind) ein paar Minuten Zeit und setze mich irgendwo hin (wo man mich auch gut sehen und hören kann) und widerhole dann laut vor mich hin. Dann merke ich, wie auch die Kinder Interesse bekommen und auch lesen und lernen wollen. Das war total faszinierend, als ich das das erste Mal beobachtet habe. Die Kinder nehmen ja auch die Eltern als Vorbild. Und einmal kam mein Sohn mit dem Mushaf und sagte „Lies, ich korrigiere Dich!“ Das fand ich so toll.
Ich danke dir, dass du uns auf diese Möglichkeit aufmerksam machst: Vor und mit den Kindern zu lesen.
Das ist sicher mit viel Segen verbunden, inshaallah. Und auch eine wunderschöne Art – zusammenzusein. Allahummabarik. Ich finde es auch toll, dass dein Sohn von sich aus vorschlägt, dir zuzuhören und dich zu korrigieren.
Möge Allah ihn weiter befestigen auf diesem Weg und euch und eure Lesungen segnen.
Amin! Barak Allahu fiki. Ja, ich konnte so etwas wie Segen spüren. Und je mehr man sich mit dem Quran umgibt, selber lesen oder auch nur hören, desto mehr Ruhe kommt ins Haus und ins Herz…
wa feeki barakallah. Alhamdullilah. Das erlebe ich auch so.
Und es erinnert mich an den Vers in Sura ar-Ra´d: (Es sind) diejenigen, die glauben und deren Herzen im Gedenken Allahs Ruhe finden. Sicherlich, im Gedenken Allahs finden die Herzen Ruhe.“
Asselamualeikum liebe umm abderrahman! Das hast du wunderschön gechrieben! Tolle Ansätze und Ratschläge zur gezielten Umsetzung allahumme barik!
Freue mich auf weitere Beiträge von dir!
Wa alaikum assalam wr wb liebe Umm Azra,
Barakallahufeeki! Vielen Dank für deine Wertschätzung. Ich freue mich sehr, wenn mein Artikel für dich hilfreich war.
Alhamdullilah.
An neuen Beiträgen arbeite ich:))